Was wurde 2023 neu entdeckt? Aus einer vor kurzem veröffentlichten Übersichtsarbeit ergeben sich einige (mehr oder weniger) neue Erkenntnisse rund Schmerzen und vor allem zur Neurophysiologie von Schmerzen. In dieser Studie erforschten die Autoren, welche Erkenntnisse inzwischen in das Reich der Mythen über neurophysiologische Mechanismen gehören. Denn es gab hier doch einige Erkenntnisse, die bisherige Sichtweisen widerlegen oder zumindest aufzeigen, dass Belege fehlen. Aber lies weiter... Natürlich wurde nicht nur auf Schwächen und Fehler bisheriger Theorien hingewiesen, sondern auch dargestellt, was wir zum derzeitigen Stand der Wissenschaft über Schmerzmechanismen wissen.
Schmerz und der Zusammenhang zum Gehirn und zur Nozizeption
Konkret geht es in der Studie darum, ob Schmerzen tatsächlich nur im Gehirn entstehen und einen reinen Output des Gehirns darstellen.
Die Rolle des Gehirns bei der Schmerzempfindung wird hier explizit kritisch hinterfragt.
Außerdem wird der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Schmerz und Nozizeption neues Gewicht verliehen und mit der aktuellen Datenlage abgeglichen.
Spezifisch wird es vor allem bei einigen Schmerzerkrankungen. Die Autoren erforschten durch ihre Literaturrecherche, ob Phantomschmerzen und Schmerzen bei Menschen mit Fibromyalgie nur auf Top-Down-Mechanismen (zu diesen werden zum Beispiel psychologische Faktoren gezählt) reduziert werden können.
Das konnte widerlegt werden:
Durch die Literaturrecherche der Forscher:innen konnten einige häufige Annahmen widerlegt werden.
So gilt es als NICHT MEHR AKTUELL, dass
❌Schmerz nur im Gehirn entsteht
❌Phantomschmerz und Schmerzen bei Fibromyalgie nur durch TOP-Down-Mechanismen entstehen
❌Schmerz ohne Nozizeption möglich ist
❌Nozizeptive Reizmodulation erst im ZNS beginnt
Das konnte dagegen belegt werden: Im Gegensatz dazu ist der AKTUELLE STAND der WISSENSCHAFT im Bezug auf Schmerzen: ✅Es gibt viele verschiedene Mechanismen, die zur Schmerzentstehung führen können.
✅Phantomschmerz und Schmerzen bei Fibromyalgie entstehen auch durch Metainflammatorische Prozesse, periphere und zentrale (Bottom-up) Sensibilisierungsprozesse, Microvaskuläre Veränderungen uvm.
✅Schmerz ist nicht mit Nozizeption gleichzusetzen.
✅Auch im peripheren Nervensystem und in peripheren Neuronen finden Modulationsvorgänge des nozizeptiven Reizes statt.
Was bedeutet das für meine tägliche Arbeit?
Aus den Ergebnissen der Studie ergeben sich auch einige Konsequenzen für deine Arbeit:
❌Vermeide es Schmerz nur als Output des Gehirns zu erklären.
✅Betone die multifaktorielle Natur von Schmerzen.
❌Vermeide Aussagen, die implizieren, dass Schmerz verlernt werden kann.
Quelle: “Párraga JP, Castellanos A. A Manifesto in Defense of Pain Complexity: A Critical Review of Essential Insights in Pain Neuroscience. J Clin Med. 2023 Nov 14;12(22):7080. doi: 10.3390/jcm12227080. PMID: 38002692; PMCID: PMC10672144.“ Link: A Manifesto in Defense of Pain Complexity: A Critical Review of Essential Insights in Pain Neuroscience - PubMed (nih.gov)
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