Erfahrungsbericht Motivational Interviewing
- BEST
- 1. Apr.
- 6 Min. Lesezeit
Motivational Interviewing (MI) – als ich diesen Begriff das erste Mal gehört hatte, konnte ich nicht viel damit anfangen. Übersetzt heißt es in etwa „motivierende Gesprächsführung“. Für mich als Physiotherapeuten klingt das erstmal als geeignetes „Werkzeug“ Patient:innen zu überzeugen und zu motivieren. Salopp gesagt, wer möchte denn nicht gerne, dass seine Patient:innen motiviert an der Therapie teilnehmen und sich aktiv innerhalb der Therapie einbringen?

Nach etwas Recherche und Austausch mit Kollegen, beschloss ich mich an dem Grundkurs Motivational Interviewing bei Thomas Messner, organisiert von BEST, in Freiburg 2022 teilzunehmen.
Doch bevor ich meine Eindrücke weiterteile, erlaube ich mir den Versuch, MI und dessen Ursprung in Kürze zu erklären.Die Grundlage des Motivational Interviewing entsprang vor gut 30 Jahren durch William Miller und Stephen Rollnick, die diesen Ansatz zur Behandlung von Suchterkrankten entwickelten. Diese gingen davon aus, dass Änderungsmotivationen und Entwicklungsmöglichkeiten in den Menschen stecken und daher der Antrieb für Veränderungen bereits vorhanden sind. Durch MI sollen die Ressourcen und die Motivation zu den Veränderungen mit Hilfe der Gesprächsführung gefunden werden. Bei den Gesprächen handelt es sich allerdings nicht um ein einfaches Abfragen, sondern es geht hierbei um den gemeinsamen Blick von zwei Personen um ein Anliegen der Patient:innen. Die Interaktion muss auf Augenhöhe beider Personen stattfinden. Zudem betonen Millner und Rollnick die Bedeutung der Autonomie der Patient:innen sowie die Akzeptanz des Erzählten ohne voreilige Ratschläge oder Schlussfolgerungen. Ziel ist es, durch bewusste Fragen und zuhören dem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, seine Gedanken und Ideen auszusprechen und ordnen zu lassen. (Miller und Rollnick 2015; Messner 2020)
Zurück nach Freiburg und zweieinhalb Tage Grundkurs mit Thomas Messner. Also Physiotherapie und motivierende Gesprächsführung. Wie ist das vereinbar und passt das zusammen? Wie soll das im ambulanten Praxisalltag funktionieren? Wollen das meine Patient:innen überhaupt und bringt es mich wirklich weiter? Ich meine, wir als Physiotherapeut:innen reden doch schließlich den ganzen Tag mit unseren Patient:innen. So schwer kann das also nicht sein. Vielleicht bin ich etwas naiv und selbstbewusst in diese Fortbildung gestartet.
Der Ablauf der Fortbildung unterschied sich nicht groß von bisherigen Weiterbildungen. Ein Dozent, 20 motivierte Zuhörer:innen im Halbkreis, nur ohne Bänke. Zu Beginn wurde eine Frage in den Raum gestellt, die auch nach dem Grundkurs und später im Aufbaukurs noch nachhallen sollten. Die Frage lautete: Wie gut könnt Ihr auf einer Skala von 0-10 Gespräche führen? Soweit erstmal keine besonders schwere Frage.
Was mir bis zum heutigen Tag und auch in den Gesprächen mit den anderen Teilnehmenden in Erinnerung geblieben ist, dass die anfängliche persönliche Distanz, die es sonst bei Fortbildungen gibt, schnell durch die erste Übung beendet wurde und darüber hinaus in Folge zu einem verstärkten Gemeinschaftsgefühl beigetragen hat. Wie kam es dazu? Hierbei kommt die zweite Frage zum Tragen. Für ein Gespräch braucht es Sprache und Zuhören. Letzteres brach sprichwörtlich den Bann, um aus oberflächlichen Gesprächen in die Tiefe eintauchen zu können. Damit war die erste Lektion für den Tag gelernt. Höre zu, gib deinem Gegenüber die Möglichkeit seine Gedanken erzählen zu können, höre zu und man sieht, wie sich die Gespräche ändern und vor allem, wie es sich anfühlt, wenn einem zugehört wird.
Neben dem Zuhören waren aber auch offene Frage von Bedeutung. Damit sollten wir versuchen, das Gespräch zu eröffnen. In der Therapie ist man, so empfinde ich das, oft geleitet in kurzer Zeit seinen Befund mit geschlossenen Fragen abzuarbeiten und dann mit der Behandlung zu beginnen. Offene Fragen hingegen ermöglichen es den Patient:innen ihre Sichtweise und Perspektive zu erzählen und zu verdeutlichen. Zu diesen Basistechniken, die wesentlicher Bestandteil des Grundkurses sind, zählten auch die Themen „Zusammenfassungen“, „Wertschätzung/Würdigung“ und „Informieren und Rat anbieten“. Durch die Zusammenfassungen kann das Gespräch sortiert und transparent aufbereitet werden. Es ist nicht selten, dass verschiedene Themen einen beschäftigten. Diese zu ordnen und zu strukturieren, kann im Verlauf des Gespräches und der Therapie von Vorteil sein. Thomas spricht in diesem Kontext gerne von „Päckchen“ und legt diese metaphorisch in eine Waagschale.
Unter „Wertschätzung und Würdigung“ versteht man in diesem Kontext die Stärken und Bemühungen der Patien:innen. Dies bedeutet allerdings nicht diese:n zu loben, sondern dass diese:r sich auch im Sinne der Autonomie, die Wertschätzung selbst zuspricht. Der letzte Bereich der Basistechniken umfasst „Informationen und Rat anbieten“. Die Enstcheidung liegt hierbei bei den Patient:innen, ob Rat bzw. Informationen gewünscht sind. Ansonsten können widerständige Reaktionen auftreten.
Je öfter diese Techniken angewendet wurden, desto natürlicher wurden die Gespräche. Die zweieinhalb Tage vergingen tatsächlich wie im Flug. Unter uns Teilnehmenden wuchs die Zusammengehörigkeit und das gegenseitige Vertrauen verstärkte sich zunehmend. Das klingt kitschig. Aber solltest du liebe Leserin oder lieber Leser diesen Basiskurs besuchen, so wünsche ich dir, dass dein Kurs ähnliche Erfahrungen bei dir hervorbringen wird. Was bleibt also nach diesen intensiven Tagen. Es blieb die Motivation MI weiterzuverfolgen, seine gelernten Gesprächsmöglichkeiten auszubauen und zu erweitern. Es blieb eine Vertrauensbasis innerhalb der Teilnehmenden aber auch mit dem Dozenten Thomas Messner. Es blieb der Wunsch die Therapie anzupassen und MI als festen Bestandteil nicht nur im beruflichen Kontext, sondern auch im privaten integrieren zu wollen.

Aber vor allem blieb die eigene Erfahrung, die Wichtigkeit, seinem Gegenüber zuzuhören und die Möglichkeit seine Sicht der Dinge aussprechen zulassen. Um mich auf die Frage zurückzubeziehen, wie gut man doch kommunizieren kann. Ich hatte mich vor dem Kurs auf 7 von 10 eingeschätzt, ich sagte ja, selbstbewusst. Nach dem Kurs und so ging es nicht nur mir, sanken die Punkte reihenweise auf 2-4. Was heißt das also? Weitermachen und MI intensivieren.
Es vergingen gute vier Monate mit Üben und Austausch mit den Teilnehmenden, ehe der bereits erwähnte Aufbaukurs von BEST in Zusammenarbeit mit Thomas Messner begonnen hatte. Das Pilotprojekt und ein Teil von uns aus dem Grundkurs nahmen daran teil. Wie es mittlerweile von vielen Fortbildungsinstituten angeboten wird, trafen wir uns nicht in vor Ort, sondern nutzten dazu die Möglichkeit flexibel uns Online zuzuschalten. Mit einer gewissen Skepsis und Freunde begegneten wir uns das erste Mal im Februar 2023 im Netz.
Die Skepsis resultierte daraus, inwieweit man ein solches Thema und mit einer solchen Gesprächsdynamik digital abbilden könnte. Mit einer bewusst reduzierten Anzahl an Plätzen starteten wir also die Reise MI gemeinsam zu intensivieren. Vom Grundkurs blieben die bereits bekannten Basistechniken. Damit kommt man weiter und kann dies auch in der Therapie spüren, allerdings blieben dennoch Fragen offen. Wie mache ich weiter, wenn ich auf einen Konflikt treffe? Was mache ich jetzt mit meinen gepackten Päckchen? Wer entscheidet was wir wann machen? Diese Fragen und noch mehr sollten also im Aufbaukurs geklärt werden.
Dieser erstreckte sich über zwölf Termine über gut ein halbes Jahr. So weit so gut. Nun ging es also los. Von Termin zu Termin wurde MI deutlicher und bewusster. Die Basistechniken gingen in Fleisch und Blut über und der Austausch sowie die Intensität blieben trotz Online-Kurs stets erhalten. Was wohl in dieser Zeit bei vielen aus dem Kurs spürbar war, ist das stetige Weiterarbeiten an sich. Motivational Interviewing fördert die Verhaltensveränderung, wenn die Motivation da ist. So war es eben auch bei mir. Ich denke, jeder kann sich an Konfliktsituationen innerhalb der Therapie erinnern. Wieso kann es kräftezehrend sein, wenn beispielsweise Patient:innen etwas nicht machen möchten, obwohl es vielleicht die Beschwerden reduzieren könnte? Ist der Konflikt dabei bei diesen oder der etwa bei einem selbst.
Je nachdem und vor allem bleibt die Frage, wie man damit umgeht. Das hat für mich die Zeit und der stetige Austausch mit den Teilnehmenden gezeigt. Die einzelnen Inhalte hier darzulegen, würde nicht nur den Rahmen sprengen, sondern dem Thema MI nicht gerecht werden. Der letzte Termin der gemeinsamen Reise bildete den krönenden Abschluss. Es war nicht nur bewegend, Teil des Projektes zu sein, sondern auch zu sehen, wie sich jede:r Einzelne weiterentwickelt hat.
Die bereits erwähnte Dynamik konnte auch nicht durch die Onlinevariante gestört werden. Um meine Anfangsworte zu widerlegen. Nein. MI manipuliert den Menschen nicht. Es zeigt Möglichkeiten auf, Verhaltensänderungen mit Hilfe der Gesprächstherapie anzuregen. Passt MI in die Physiotherapie? Definitiv. Wir sprechen immer von Patientenzentrierung. Dann ist MI ein geeignetes „Tool“. Würde ich es wieder machen? Absolut. Bin ich oder BEST am Ende mit MI? Ich denke nicht und kann es daher nur weiterempfehlen, wenn die Möglichkeit besteht, die Kurse zu besuchen und das ganze selbst mitzuerleben. Ich habe bisher nur MI als Gesprächsfortbildung gemacht und kann daher nur für dieses Konzept sprechen.
Ich wünsche euch schöne Begegnungen.

Autor: Lukas Kellner
Literaturverzeichnis
Messner, thomas (2020): Wer hat das Problem und wer löst es?: Motivational Interviewing als integratives Element der Therapie. Hg. v. Zeitrschrift für Physiotherapeuten. Online verfügbar unter https://physiotherapeuten.de/news/2020/07/wer-hat-das-problem-und-wer-loest-es-interviewvideo-zum-titelbeitrag-in-der-pt-05-2020/.
Miller, William R.; Rollnick, Stephen (2015): Motivierende Gesprächsführung. [Neuaufl.], 3. Aufl. des Standardwerks in Deutsch. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
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