Die deutsche Physiotherapie hat kein Selbstvertrauen
Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in Deutschland erzählen häufig, sie hätten ein sogenanntes Helfersyndrom. Sie versuchen, es allen Recht zu machen, möchten von ihren Patient:innen gemocht werden und besuchen viele Fort- und Weiterbildungen.

Abbildung: "Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut" reicht vielen nicht aus. Sie begeben sich auf die Jagd nach Zertifikaten.
Machen uns viele Fortbildungen wirklich besser im Behandeln? Werden wir zu besseren Helfer:innen, indem wir uns in viele Weiterbildungen setzen? In diesem Artikel möchte ich genauer darauf eingehen, wieso ich vermute, dass viele Therapeutinnen und Therapeuten ein geringes Selbstvertrauen, einen niedrigen Selbstwert haben.
Ich beobachte bei Physiotherapeut:innen sowohl in meinem Umfeld, als auch auf sozialen Medien immer wieder verschiedene Verhaltensweisen. Mein Ziel ist es, genauer darauf einzugehen, was diese Verhaltensweisen möglicherweise über unser Selbstwertgefühl aussagen. Mir ist es außerdem wichtig darauf einzugehen, ob diese Verhaltensweisen uns persönlich, aber auch unsere Profession wirklich voranbringen. Und ich möchte zeigen, wie wir unseren Selbstwert wirklich steigern können. Wie wir uns und unseren Beruf verbessern können. Physios machen häufig direkt nach der Ausbildung die erste Fortbildung
Die meisten Kolleg:innen die ich kenne, haben direkt nach der Ausbildung eine Weiterbildung für Manuelle Lymphdrainage gemacht. Dieses Zertifikat wird auch in vielen Stellenausschreibungen als „gewünscht“ oder sogar als „erforderlich“ angegeben. Auch die Weiterbildungen für Manuelle Therapie oder neurologische Zertifikate wie PNF und Bobath sind gefragt. Doch warum ist das eigentlich so? In anderen Berufen wird zuerst einmal gearbeitet. Der Bürokaufmann oder die Schreinerin fangen zuerst einmal an, in ihrem Beruf zu arbeiten und Erfahrung zu sammeln. Fortbildungen sind da erst mit der Zeit ein größeres Thema. Ich hatte als frisch gebackener Physiotherapeut schon das Gefühl, dass bestimmte Fortbildungen von mir erwartet werden. Auch hatte ich den Eindruck, wenn ich nicht genug Scheine, nicht genug Zertifikate mitbringe, dann bin ich kein guter Therapeut. Das wurde auch oft mit Erfahrung in Verbindung gebracht. Ich habe dann schon mal Aussagen gehört wie: „Das lernst du noch“ oder „mach erstmal die MT, dann verstehst du, was ich meine.“ Für mich war damit klar, wie auch für quasi alle Physios in meinem Umfeld, dass ich schnell meine Fortbildung in Manuelle Therapie machen und abschließen werde. Genau das habe ich dann auch gemacht. Man möchte ja den Menschen helfen können.
Was mir nicht bewusst war: Dieser Drang, sich weiterzubilden, „besser zu werden“, kommt aus einem Mangel. Einem Mangel an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ein Mangel an Selbstvertrauen. Ein Mangel an Vertrauen in das Gelernte. Physiotherapeutinnen und Therapeuten fühlen sich nach der Ausbildung offensichtlich häufig nicht in der Lage, den Patientinnen und Patienten gut helfen zu können. Sie haben vielleicht sogar das Gefühl, schlechte Physios zu sein. Selbstvertrauen sieht anders aus.