"Wie bringe ich meine Patientin dazu, ihre Übungen zu machen?"
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- vor 6 Tagen
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Gedanken zur Kommunikation in der Physiotherapie – mit Fragen an Prof. Dr. Thomas Messner
Wie oft habe ich mich in der Vergangenheit gefragt, warum Patient*innen ihre Übungen nicht machen. Ich erklärte, motivierte, erinnerte – und wurde doch oft frustriert. Es war nicht so, dass ich mich nicht bemühte. Ich dachte, ich sei engagiert, emphatisch, verständnisvoll. Erst ein Kurs zum Thema Motivational Interviewing hat mir gezeigt, dass ich Kommunikation vor allem als Einbahnstraße verstanden hatte.
Ich wollte helfen, aber eigentlich sprach ich mehr über die Menschen als mit ihnen. Das zu erkennen, war unangenehm – aber auch der erste Schritt zu echter Veränderung in der Praxis.

Kommunikation: viel gebraucht, kaum gelernt
Während der Ausbildung lag der Fokus klar auf Behandlungstechniken und dem Körper bzw. der Erkrankung selbst: Manuelle Therapie, Trainingslehre, Pathophysiologie. Kommunikation? Kam vor. Wurde angeschnitten. Aber nicht wirklich geübt. Auch nicht geprüft. Und so ging es mir wie vielen anderen: Ich musste mir die kommunikativen Fähigkeiten später selbst erarbeiten – Stück für Stück im Praxisalltag.
Der Wendepunkt kam mit meinem ersten MI-Kurs. Ich merkte schnell, wie oft ich die Patient*innen mit geschlossenen Fragen durch das Gespräch lotste, wie selten ich wirklich zuhörte – und wie oft ich ungewollt die Deutungshoheit übernahm.
MI: Haltung statt Technik
Was mich am meisten beeindruckt hat: Beim MI geht es nicht nur um Gesprächstechniken. Es geht um eine Haltung – geprägt von Respekt, Neugier und ehrlichem Interesse am Gegenüber. Die Grundlage ist keine besserwisserische Expertenrolle, sondern eine partnerschaftliche Beziehung.
Frage an Prof. Dr. Thomas Messner:
Thomas, warum ist die innere Haltung für den Erfolg des Motivational Interviewing so entscheidend? Und wie kann man diese Haltung als Therapeutin kultivieren?
Thomas Messner:
Das Ziel des MI-Gespräches ist ja gemeinsam mit den Patient*innen intrinsische Motivation für eine Veränderung zu suchen und sichtbar zu machen. Wir können davon ausgehen, dass das Gegenüber hinsichtlich einer Veränderung ambivalent eingestellt ist. Es gibt gute Gründe für eine Veränderung und auch gute Gründe sich nicht zu verändern. Nun wollen wir gemeinsam die Gründe erkunden und Gedanken nach außen transportieren. Diese werden im Gespräch sichtbar. Wenn wir nun zu sehr expertengeleitet oder sogar moralisierend wirken und die Patient*innen das Gefühl haben, wir wünschen uns eine Veränderung für sie, dann reagieren sie entsprechend darauf. Die Patient*innen setzen sich mit unserer Expertise auseinander. Daraus resultiert oft eine reaktante Reaktion oder eine Abwehrhaltung garniert mit Rechtfertigungen. Wenn Menschen ihre Gründe für eine Veränderung finden wollen und auch müssen, dann ist es notwendig, dass sie sich mit Ihren eigenen Gedanken und Emotionen auseinandersetzen. Die Haltung und das Menschenbild des MI ermöglicht es, dass die Patient*innen die Motivation bei sich erkunden und ehrlich zu sich selbst sein können. Sie können ohne die Gefahr verurteilt, beurteilt oder bewertet zu werden ihre Gründe erkunden. Somit werden sie eingeladen innere Gedanken sprachfähig zu machen, sie auszudrücken und dann auch selbst kennen zu lernen. Das alles ist möglich, wenn der Therapeut / die Therapeutin wertfrei und auf Augenhöhe gegenübersitzt.
Zuhören als Schlüssel
Heute beginne ich im Grunde jedes Anamnesegespräch mit dem Satz: „Erzählen Sie mir Ihre Geschichte.“ Was dann folgt, dauert selten länger als anderthalb Minuten – aber diese Minuten machen einen enormen Unterschied. Statt vielen einzelnen Fragen: Raum für Erzählung. Statt schnellem Rat: echtes Zuhören.
Frage an Prof. Dr. Thomas Messner:
Wie verändert sich deiner Erfahrung nach die therapeutische Beziehung, wenn wir aktives Zuhören bewusst einsetzen?
Thomas Messner:
Meine Erfahrung ist, dass sich die therapeutische Beziehung grundlegend verändert. Zum einen spürt und merkt der Patient / die Patientin, dass ich als Therapeut das Problem und den Gedanken auch wirklich verstanden haben und mich dafür interessiere, ihn/sie ernst nehme. Empathie wird spürbar und erlebbar und das ist nicht trivial. Wenn wir selbst ein Problem haben, dann wünschen auch wir uns, dass ein Gegenüber versteht was ich verstanden habe und wir erst dann zur Lösung übergehen. Zum anderen bemerkt der Patient / die Patientin, dass seine / ihre Meinungen und Gedanken Gewicht haben und auch relevant sind. Er / sie wird sich mehr einbringen, sich getrauen ihre /seine Gedanken und Meinungen auch zu sagen. Unsere Patient*innen werden sich aktiver in die Therapie einbringen und sich auch selbstwirksamer erleben. Und das wünschen wir uns alle.
Motivation kommt von innen
Früher erklärte ich, welche Übung bei welchem Problem helfen sollte – und war frustriert, wenn diese nicht gemacht wurde. Heute verstehe ich: Menschen ändern ihr Verhalten nicht, weil ich es will. Sondern weil sie einen eigenen Grund dafür entdecken.
Frage an Prof. Dr. Thomas Messner:
MI basiert auf der Idee, dass Motivation bereits in jedem Menschen vorhanden ist. Wie helfen wir Patientinnen dabei, ihre eigene Motivation zu entdecken und zu stärken?
Thomas Messner:
Wie bereits erwähnt, ist die Haltung und das Menschenbild bereits die Grundlage. Dadurch erlebt sich der Patient / die Patientin in einer wertfreien Beziehung und traut sich, die eigenen Gedanken in einem geschützten Rahmen zu erkunden. Wenn wir nun in der Therapie Gedanken zu Worten führen möchten, dann sollten wir die Fähigkeit haben, die Fragen so zu formulieren, dass sie zu Selbstreflexion führen und das gegenüber sich eingeladen fühlt das auch zu tun, den Gedanken nachzugehen und sie auszuformulieren. Wenn wir Therapeut*innen nun zuhören und den Gedanken weiteren Raum geben, dann können wir die weitere Exploration fördern und dem Gegenüber helfen, die eigenen Gedanken zu sortieren und kennen zu lernen. Methodisch benötigen wir hierzu die richtige Gewichtung von Fragen und Zuhören, das nötige Timing und auch die sprachliche Fähigkeit empathisch und treffsicher zu kommunizieren. Das erfordert ein wenig Übung, ist aber erlernbar. It´s simple but not easy.
Aus Dienstleistung wird Begegnung
Was sich für mich durch MI verändert hat, ist mehr als nur der Gesprächsverlauf. Es ist die Qualität der Begegnung. Ich begegne meinen Patient*innen heute mit mehr Offenheit, mehr Vertrauen – und mit dem Bewusstsein, dass wir beide gemeinsam an einem Ziel arbeiten.
Frage an Prof. Dr. Thomas Messner:
Was würdest du Therapeut*innen mit auf den Weg geben, die Kommunikation mehr als Werkzeug denn als Beziehung betrachten?
Thomas Messner:
Das Werkzeug ist wichtig. Wir alle brauchen die nötigen Fertigkeiten und sprachlichen Finessen, um im Alltag sicher zu kommunizieren. Gleichzeitig können diese Werkzeuge nur dann eine Wirkung entfalten, wenn Haltung spürbar wird. Denn wir sind ja nicht alleine im Dialog. Das Gegenüber reagiert auf uns und wir geben der Person mehr oder weniger Raum. Und das entscheidet nun einmal maßgeblich wie weit sich das Gegenüber öffnet und ob ein gemeinsamer Prozess möglich ist. Es herrscht eine gewisse Wechselbeziehung zwischen Technik und Haltung. Die patientenzentrierte Haltung ermöglicht erst, dass die Techniken und Werkzeuge wirken und gleichzeitig benötigen wir die differenzierte und bewussten Einsatz der Techniken, um Haltung spürbar zu machen.
Grundsätzlich würde ich raten, die Art der Beziehungsgestaltung einmal kennen zu lernen und am eigenen Leib zu spüren. Am besten in einem lebendigen Seminar 😊
Fazit
MI ist keine Wunderwaffe – aber es ist ein Lernprozess, der sich lohnt. Für die Patientinnen, für uns als Therapeutinnen und letztlich für die therapeutische Beziehung als Ganzes. Wer sich auf diesen Prozess einlässt, lernt nicht nur besser zu kommunizieren. Sondern auch, anders zu denken.
Ich wünsche mir, dass wir in der Physiotherapie häufiger miteinander reden – nicht nur über Techniken, sondern über Haltung, über das Zuhören, über echte Begegnung. Denn genau da beginnt Veränderung.
Du interessierst dich für die Kommunikation mittels Motivational Interviewing? Dann hol dir alle weiteren Informationen hier:
Professor Dr. Thomas Messner:

(Prof.) Dr. Thomas Messner ist Diplom-Sportwissenschaftler und Physiotherapeut und seit 2017 als Professor für Gesundheitswissenschaften tätig. In der Lehre, Forschung und Weiterbildung beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit den Themenfeldern Adhärenz, Patienten-Edukation, Lebensstiländerung und insbesondere mit dem Ansatz Motivational Interviewing (Member MINT).
E-Mail: messner@dhbw-loerrach.de
Autor:

Christoph Schwertfellner ist Physiotherapeut, Fachautor und Dozent.
2024 hat der gemeinsam mit Hannu Luomajoki das Buch "Hands-Off in der Physiotherapie" herausgegeben, an dem auch Thomas Messner mitgearbeitet hat. Außerdem studiert er nebenberuflich Psychologie. Christoph ist außerdem bei Thieme als Themenscout für die "Physiopraxis" tätig. Als Mitbegründer von BEST beschäftigt er sich vor allem mit Schmerz im Kontext Psychologie und Kommunikation.
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